Hannah Neumann in Kuwait - 1

Feminismus

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Wir werden die Quote wohl als ersten Schritt brauchen

Kuwait gibt seinen Bürger*innen im Vergleich mit anderen Golfmonarchien viele demokratische Rechte, und liegt auch bei den Frauenrechten vorne. Dennoch gibt es keine einzige Frau im Parlament. Ich bin ins Land gereist und habe mit kuwaitischen Abgeordneten, Minister*innen und Vertreter*innen von Frauenrechtsorganisationen gesprochen. Ein Interview

Was genau war dein Anliegen und was hast du von der Reise mitgenommen?

Kuwait ist in der Region das Land, in dem Bürger*innen die weitreichendsten demokratischen Einflussmöglichkeiten haben, auch wenn natürlich noch viel Handlungsbedarf besteht. Die Bevölkerung kann durch Wahlen über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden – allerdings bleibt es das Vorrecht des Monarchen, die Regierung zu ernennen. Durch den Erfolg der sogenannten „Blue Revolution“ haben kuwaitische Frauen seit 2005 das aktive und passive Wahlrecht. Jedoch konnten bisher nur sehr wenige Frauen ins Parlament einziehen; bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2020 wurde keine einzige Frau in das 50-köpfige Parlament gewählt. 

Bei meiner Reise ging es um die Frage, wie dieser Missstand behoben werden und sichergestellt werden kann, dass sich in Zukunft mehr Frauen dafür entscheiden, für politische Ämter zu kandidieren – und erfolgreich dabei sind. Vor allem wollte ich die Vorschläge und Wünsche von Frauenrechtsaktivistinnen besser verstehen und nachvollziehen, welche Chancen für erforderliche Reformen bestehen.

Wen hast du im Land getroffen?

Im Parlament habe ich mich mit einer Reihe von Abgeordneten getroffen. Außerdem lagen mir Begegnungen mit Repräsentantinnen verschiedener Frauenorganisationen besonders am Herzen. Die Aktivistinnen erklärten mir, mit welchen Hindernissen und Herausforderungen sie sich im politischen Prozess konfrontiert sehen. Wir haben gemeinsam Strategien entwickelt, wie in der nächsten Legislaturperiode eine angemessene Anzahl von Frauen im kuwaitischen Parlament vertreten sein kann. Klar ist, dass dies ohne Gesetzesreformen kaum zu erreichen sein wird.

Ein paar Tage nach deinem Besuch in Kuwait hast du dich mit dem kuwaitischen Parlamentssprecher Marzouq Al-Ghanim und zwei weiteren Abgeordneten hier in Brüssel getroffen. Was habt ihr besprochen?

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Der Parlamentssprecher hat mir einen Gesetzentwurf vorgestellt, der darauf abzielt, die Repräsentation von Frauen zu stärken. Es soll eine Quote eingeführt werden, die Frauen de facto mindestens 20 Prozent der Parlamentssitze garantieren würde.

Hannah Neumann - Treffen mit dem kuwaitischen Parlamentssprecher Marzouq Al-Ghanim

In das wortwörtlich 50 Mann starke Parlament ist in der letzten Legislaturperiode keine einzige Frau eingezogen. Wie siehst du die Lage der Frauen in der kuwaitischen Politik und wo besteht deiner Meinung Verbesserungsbedarf? Wie sehen die Bemühungen in Kuwait diesbezüglich aus?

Ich bin der Meinung, dass es in Kuwait unbedingt eine Quote braucht. In einer Reihe arabischer Staaten wurden Frauenquoten bei Parlamentswahlen eingeführt, darunter Ägypten, Irak, Tunesien, Marokko und die Vereinigten Arabischen Emirate. Und in all diesen Staaten hat die gesetzliche Quote ihre Funktion erfüllt. In Kuwait muss zunächst einmal sichergestellt werden, dass überhaupt Frauen im Parlament vertreten sind. So können andere Frauen sehen, dass es in der Politik durchaus Raum für Frauen gibt. Die Frauen, die über die Quote ihre Sitze erringen, haben dann eine Vorbildfunktion für viele potentielle Nachahmerinnen.

In Kuwait sind viele hoch qualifizierte Frauen in den Bereichen Wirtschaft, Philanthropie und Wissenschaft vertreten – aber nicht in der Politik. Die Quote ist ein Mittel, diese Situation zu ändern. Sie sollte als klares Bekenntnis verstanden werden für eine Gesellschaft, in der die Geschlechter gleichberechtigt sind.

Du triffst dich auf deinen Reisen regelmäßig mit zivilen Akteur*innen. Warum war dir das in Kuwait auch so wichtig?

Politik ist viel mehr als der Austausch von Abgeordneten und Regierungsvertreter*innen mit anderen Abgeordneten und Regierungsvertreter*innen. Es ist wichtig, auch mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ins Gespräch zu kommen, vor allem dort, wo sie sich nicht durch Abgeordnete im Parlament vertreten sehen. In Kuwait habe ich mich deswegen insbesondere mit Vertreterinnen von Frauenorganisationen getroffen. Dabei haben wir natürlich nicht nur das Wahlgesetz besprochen, sondern auch Themen wie häusliche Gewalt oder den Umstand, dass kuwaitische Frauen, die mit Ausländern verheiratet sind, ihren Kindern die kuwaitische Staatsbürgerschaft nicht weitergeben können. Es ist absurd, dass Themen, die die Hälfte der Bevölkerung betreffen, nur dank des Wohlwollens der anderen Hälfte überhaupt im Parlament angesprochen werden können.

Wie kommen die Bemühungen des Parlamentssprechers und vieler anderer Aktivist*innen um eine Frauenquote im Parlament in der kuwaitischen Gesellschaft an?

Von Seiten der Frauenorganisationen gibt es natürlich große Unterstützung für eine solche gesetzliche Regelung. Sie sehen, dass ein höherer Frauenanteil im Parlament ansonsten ein ferner Traum bleiben wird. Im Parlament und allgemein der Politik gibt es unterschiedliche Meinungen. Rein rhetorisch scheinen alle das Anliegen zu befürworten, mehr weibliche Abgeordnete ins Parlament zu holen. Die Geister scheiden sich an der Frage, was der beste Weg dorthin ist. Das geht von „Wir sollten die Wahlmechanismen überhaupt nicht beeinflussen“ bis hin zur Forderung nach der Quote. Der Parlamentssprecher hat nun einen konkreten Vorschlag ausgearbeitet, der als Diskussionsgrundlage dienen kann. Das bringt neuen Schwung in die Debatte. Mein Anliegen ist es, hier hilfreiche Argumente beizusteuern. Über das Ergebnis dieser Debatte werden am Ende die Menschen in Kuwait entscheiden – aber es sollte sichergestellt sein, dass Frauen im nächsten Parlament angemessen vertreten sind und bei solchen Fragen in Zukunft mitentscheiden können.

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Reicht eine Quote denn aus, oder braucht es noch weitergehende Maßnahmen?

Natürlich braucht es immer noch mehr, aber die Quote wäre ein guter Anfang. Es ist enorm wichtig, Frauen darin zu bestärken, überhaupt zu kandidieren. Da es in Kuwait keine politischen Parteien gibt, ist jede*r im Wahlkampf auf sich allein gestellt, muss ein Programm erarbeiten, den Wahlkampf organisieren und die erforderlichen finanziellen Mittel aufbringen. Hilfreich wäre es, Frauen in genau diesen Bereichen beim Wahlkampf zu unterstützen. Beispielsweise brauchen Frauen einen besseren Zugang zu den traditionell männlichen dominierten „Diwanyias“: Das sind Orte, an denen viele verschiedene Menschen zusammenkommen, um politische Positionen zu verhandeln und sich zu vernetzen – also eine ideale Bühne für Kandidat*innen, um sich und ihr Wahlprogramm vorzustellen. Außerdem geht es darum, die Präsentations- und Redefähigkeiten von Frauen zu stärken, ihnen also das erforderliche Wissen, die Techniken und das Selbstvertrauen hierzu zu vermitteln. Die wenigsten haben das von klein auf geübt, anders als ihre männlichen Kollegen.

Zudem müssten Maßnahmen erarbeitet werden, um Frauen gegen Angriffe von außen, beispielsweise Hassrede, zu schützen. Hier kommt gerade Männern eine wichtige Rolle zu: Sie müssen solche Angriffe öffentlich verurteilen und sich entschieden gegen Hasskampagnen – auch im Netz – positionieren. Die Debatte um die Quote richtet bereits den Fokus auf die erschwerten Bedingungen, mit denen sich Kandidatinnen konfrontiert sehen. Aber es braucht noch viel mehr gesellschaftliche Aufklärung und ein besseres Bewusstsein. Ich habe Frauen in Kuwait getroffen, die ganz eindeutig gesagt haben: „Mit einer Quote würde ich für einen Sitz im Parlament kandidieren, aber ohne eine Quote nicht.“ In Kuwait ist die Situation insofern ähnlich wie bei uns. Wir werden die Quote wohl als ersten Schritt brauchen, um traditionelle Muster aufzubrechen.

Nachtrag: Am Mittwoch, 22. Juni, hat der kuwaitische Kronprinz das Parlament aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen gefordert. Grund ist eine Fehde zwischen der Regierung und dem gewählten Parlament, welche eine Steuerreform behindert hatte. 

Bei den Neuwahlen sollte nun sichergestellt werden, dass Frauen im Parlament angemessen vertreten sind!

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