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Menschenrechtsverteidiger*innen müssen leichteren Zugang zu EU-Visa erhalten

Menschenrechtsverteidiger*innen auf der ganzen Welt kämpfen für Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Klimaschutz und Demokratie – genau die Werte, die uns in der EU so wichtig sind.

Aber häufig riskieren sie dabei ihr Leben. Zahl, Ausmaß und Schwere der Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen haben deutlich zugenommen: Sie selbst und ihre Familien werden eingeschüchtert, sind Verleumdungskampagnen ausgesetzt, werden aufgrund erfundener Anschuldigungen inhaftiert und in den schlimmsten Fällen ermordet. Frauen, Mitglieder der LGBTQI+-Gemeinschaft und Umweltschützer*innen sind besonders gefährdet. Was kann die EU in diesem Zusammenhang tun?

Ein wichtiges Instrument zur Unterstützung gefährdeter Menschenrechtsverteidiger*innen, die außerhalb der EU leben, ist die Erteilung von Visa für die Einreise in die EU– Aber in vielen Fällen gestaltet sich der Zugang hierzu sehr schwieirg. Selbst wenn die Einreise gelingt, erhalten Menschenrechtsverteidiger*innen vor Ort oft nicht die nötige Unterstützung. Ich wollte einen noch besseren Einblick in die Thematik bekommen und wissen: Wie können wir das Problem angehen? Deshalb haben der Menschenrechtsausschuss und der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres die EU-Grundrechteagentur auf meinen Vorschlag hin gebeten, eine Studie genau hierzu erstellen.

Heute wurde die Studie mit dem Titel „Protecting Human Rights Defenders at Risk – EU entry, stay and support“ veröffentlicht.

Die zentralen Ergebnisse

Die Studie bietet eine eingehende Analyse der Risiken und Herausforderungen, mit denen Menschenrechtsverteidiger*innen konfrontiert sind, die in die EU einreisen wollen, und stützt sich dabei u.a. auf meinen im März veröffentlichten Bericht. Sie zeigt deutlich, dass der Schutz für Menschenrechtsverteidiger*innen derzeit lückenhaft ist und dass es häufig sehr schwierig sein kann, ein Visum zu erhalten (langwierige Verfahren, schwer zu beschaffende Dokumente, für Verteidiger*innen in abgelegenen Gebieten nicht zugängliche Rechtsinstanzen usw.). Außerdem werden für Menschenrechtsverteidiger*innen oft nur Kurzzeitvisa erteilt. Wenn sie länger bleiben wollen, müssen sie internationalen Schutz beantragen – was bedeutet, dass sie nicht in ihr Land zurückreisen können.

Fall 1

Ein*e afghanische*r Menschenrechtsverteidiger*in, der*die Amnesty International bei der Durchführung von Recherchen in Afghanistan unterstützte, konnte 2022 in den Iran fliehen, war aber weiterhin gefährdet. Amnesty International unterstützte sie*er bei der Beantragung eines Visums für Frankreich – der gesamte Prozess verzögerte sich jedoch erheblich. Trotz des Engagements der Zivilgesellschaft wartet er*sie bis heute auf eine Entscheidung der französischen Behörden, mehr als ein Jahr nachdem der Antrag gestellt wurde. (Quelle)

Fall 2

Ein*e Menschenrechtsverteidiger*in aus dem kurdischen Irak möchte in ein EU-Land umgesiedelt werden. Die Familie des*r Verteidigers*in wird verfolgt, was es schwierig macht, zu verreisen. Das EU-Land, in das die*der Verteidiger*in umziehen möchte, verlangt jedoch, dass Antragsteller*innen für eine Aufenthaltsgenehmigung ihre Pässe in einem Konsulat/einer Vertretung überprüfen lassen müssen. Der*die Verteidiger*in muss also zweimal nach Bagdad reisen, obwohl beide Reisen mit einem hohen Risiko verbunden sind, Gewalt zu erfahren: um ihren*seinen Pass überprüfen zu lassen und um ihren*seinen Aufenthaltsnachweis/das Visum abzuholen. (Quelle)

Empfehlungen

Die Studie zeigt deutlich, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten konsequenter und koordinierter handeln müssen und dass die Behörden der Mitgliedstaaten besser auf die Bedürfnisse von Menschenrechtsverteidiger*innen eingehen müssen. Zu den Empfehlungen gehören:

– Nutzung der Flexibilität, die das EU-Visumrecht bereits bietet

– Ausweitung der bestehenden Schutzprogramme

– Bessere Unterstützung für Menschenrechtsverteidiger*innen während ihres Aufenthalts (z. B. Unterkunft, Zugang zu medizinischer Versorgung …), um ihnen die Fortsetzung ihrer Arbeit zu ermöglichen

– Überprüfung von Rechtsinstrumenten wie dem Visakodex, dem Visa-Informationssystem und dem Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystem unter Berücksichtigung der Herausforderungen, mit denen Menschenrechtsverteidiger*innen konfrontiert werden

– Bessere und mehr Informationen über Menschenrechtsverteidiger*innen und ihre besonderen Bedürfnisse

Nächste Schritte

Die Studie zeigt, dass wir den Zugang zu Visa für Menschenrechtsverteidiger*innen verbessern und sie stärker unterstützen müssen, wenn sie in die EU eingereist sind. Statistiken aus Spanien und den Niederlanden (die in der Studie ebenfalls erwähnt werden) zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschenrechtsverteidiger*innen nach ihrem Aufenthalt in der EU in ihre Heimatländer zurückkehrt, um ihre Menschenrechtsarbeit fortzusetzen – weniger als 10 Prozent stellen einen Antrag auf internationalen Schutz. Diese Tatsache sollte allen Asyl- und Migrationsbeamt*innen der EU und der Mitgliedsstaaten in Erinnerung gerufen werden! Menschenrechtsverteidiger*innen leisten in ihren Ländern unschätzbare Arbeit und verteidigen die Werte, für die auch wir stehen. Deshalb werde ich mich weiterhin für Verbesserungen für sie einsetzen.

Unter anderem werde ich auf einer Konferenz über Visa für Menschenrechtsverteidiger*innen sprechen, die von der spanischen Ratspräsidentschaft im Oktober organisiert wird. Ziel der Konferenz ist es, Vertreter*innen der EU-Mitgliedstaaten und andere Interessengruppen zusammenzubringen. Ich werde euch natürlich über die Ergebnisse auf dem Laufenden halten.

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