Das Weißbuch zur Europäischen Verteidigung der Kommission ist da – und es bündelt viele wichtige Initiativen: klare Prioritäten für Investitionen in europäische Fähigkeitslücken, präzise Maßnahmen zur Unterstützung der Ukraine, Stärkung der Military Mobility und eine deutliche Sprache zur Bedrohung durch Russland. Doch bei einer entscheidenden Frage der strategischen Neuausrichtung bleibt es mutlos. Die geopolitische Realität hat sich verändert, die USA sind kein verlässlicher Partner mehr – aber Europa bleibt in zentralen Punkten weiterhin abhängig. Wir brauchen jetzt eine ehrliche Neubewertung der transatlantischen Beziehungen und dieser Abhängigkeit, statt immer weiter die Notwendigkeit zu betonen, in Partnerschaften mit gleichgesinnten Ländern weltweit zu intensivieren, um gemeinsamen Sicherheitsbedrohungen effektiv zu begegnen.
Gemeinsam oder jeder für sich?
Gerade angesichts der geopolitischen Lage wäre ein klares Bekenntnis zur gemeinsamen europäischen Verteidigung notwendig gewesen – doch das Weißbuch bleibt hier vage. Es betont zwar, dass „nur gemeinsam Europas Verteidigungsfähigkeit gestärkt werden kann“, gleichzeitig aber auch, dass die Zuständigkeit weiterhin bei den Mitgliedstaaten liegt. Das ist ein Widerspruch, der sich durch das gesamte Dokument zieht. Eine ehrliche Diskussion über die wachsende Unsicherheit der US-amerikanischen Schutzgarantie und Europas Abhängigkeit in zentralen Bereichen hätte dringend geführt werden müssen. Wer ernsthaft europäische Verteidigung will, muss auch europäische Zuständigkeiten schaffen – doch dazu liefert das Weißbuch keine Vorschläge. Mehr dazu im Artikel der Frankfurter Rundschau, WELT und Deutschen Welle.
Finanzierung: kein neues Geld, keine demokratische Mitsprache
Die vorgeschlagene Finanzierung im Weißbuch ist keine Lösung für die langfristige Sicherheit Europas – sie wiederholt lediglich die Vorschläge in ReArm Europe. Es gibt kein frisches Geld, sondern nur neue Schuldenmechanismen, die für manche Mitgliedstaaten vorteilhaft sein können, für viele aber keinerlei Veränderung bringen. Auch die geplante Umwidmung von Kohäsionsfonds-Geldern für Verteidigung ist der falsche Weg – sozialer Zusammenhalt und wirtschaftliche Entwicklung dürfen nicht gegen Sicherheitsausgaben ausgespielt werden. Was fehlt, ist eine nachhaltige und langfristige Finanzierungsstrategie: Eine spezialisierte europäische Verteidigungsbank wäre ein sinnvoller Schritt, ebenso wie die ernsthafte Debatte über Eurobonds für Verteidigung oder eine echte Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts.
Union Preparedness Strategy
Mit der neuen Union Preparedness Strategy geht die EU vergangene Woche einen weiteren wichtigen Schritt und definiert Sicherheit breiter als nur militärische Fähigkeiten. Unsere Gesellschaften sollen besser verbreitet sein, auf künftige Krisen wie Pandemien, Naturkatastrophen oder hybride Bedrohungen schnell und koordiniert zu reagieren. Die Strategie enthält viele gute Ansätze: Klare Priorisierungen für Investitionen, stärkere zivil-militärische Zusammenarbeit und einen proaktiven statt rein reaktiven Ansatz. Sie analysiert Probleme und Handlungsfelder sehr treffend und setzt wichtige Impulse, etwa bei der Stärkung von Dual-Use und Frühwarnsystemen. Gleichzeitig bleibt auch die Preparedness Strategie in zentralen Fragen zu vage. Der Verweis auf nationale Zuständigkeiten verhindert erneut einen echten gemeinsamen europäischen Wurf. Damit riskieren wir, dass 27 EU Staaten einzeln ihre Resilienz aufbauen, anstatt sie grenzüberschreitend zu denken. Auch woher das Geld für die Umsetzung kommen soll, bleibt völlig unklar. Nicht zuletzt fehlt die Klarheit, wie neue Strukturen mit bestehenden Instrumenten integriert werden sollen, um Dopplungen zu vermeiden und Effektivität und Kosteneffizienz zu steigern.