Lebensraum Oder und Haff

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Odertour: Die Fische sterben weiter

Im August war ich auf und entlang der Oder unterwegs, zusammen mit Menschen aus Deutschland und Polen, denen Naturschutz, wirtschaftliche Entwicklung, politische Zusammenarbeit oder nachhaltiger Tourismus wichtig sind. Das Fischsterben ereignete sich kurz vor Start der Tour. Wie das die Reise beeinflusst hat und welche Schritte wir nun gehen müssen: Mehr dazu lest ihr im Interview.

Deine Tour war von langer Hand geplant und stand eigentlich unter dem Motto „Oder an die Freude“. Was war deine Reaktion, als du vom Fischsterben erfahren hast?

Das Fischsterben hat mich enorm betroffen gemacht. Es geht ja auch nicht nur um die Fische, sondern um viele verschiedene Tierarten. Zum Beispiel sind Weichtiere wie Muscheln betroffen, die normalerweise als eine Art Kläranlage für den Fluss fungieren. Wenn die Fische sterben, dann sinken sie an den Grund des Bodens und verwesen dort. Das entzieht dem Wasser Sauerstoff – und führt zu noch mehr Sterben im Wasser. Gleichzeitig sind Fische und Weichtiere Nahrungsgrundlage für viele andere Tiere, wie beispielweise Vögel. Der Fluss ist ein zusammenhängendes Ökosystem. Ein Problem in einem Bereich hat eine Kettenreaktion zur Folge. Dementsprechend war ich sehr beunruhigt.

Und das Fischsterben hat noch einmal deutlich gemacht, dass die Kommunikation zwischen den polnischen und den deutschen leider Behörden nicht funktioniert. Eigentlich hätten polnische Stellen deutsche Gemeinden wegen erhöhter Werte und sterbender Fische warnen müssen. Das ist aber viel zu spät passiert; als auch in Deutschland schon tote Fische ankamen.

Das ursprünglich geplante Motto meiner Reise – Oder an die Freude – war nun logischerweise nicht mehr ganz passend, aber ich wollte die Tour unbedingt antreten. Schließlich gab es jetzt die Möglichkeit, politische Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken und diejenigen in den Vordergrund zu rücken, die sich vor Ort engagiert haben – zum Beispiel die vielen Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, die die toten Fische eingesammelt haben oder die Umweltschützer*innen, die sich Gedanken machen, wie es nun weitergehen soll.

Für mein Team war das Ganze ein ziemlicher Kraftakt, weil viele Termine umgeplant werden mussten. Zu guter Letzt hat aber alles gut geklappt.

Wie war die Situation dann vor Ort? Welche Momente haben dich am meisten geprägt, sowohl positiv als auch negativ?

Am bedrückendsten war sicherlich der Kontrast zwischen der wunderschönen Oderlandschaft einerseits und den vielen toten Fischen andererseits. Sie trieben an der Wasseroberfläche und mussten eingesammelt werden – und zwar so schnell wie möglich, um weiteren Schaden vom Ökosystem abzuwenden. Zwei Stunden war ich beim Einsammeln mit dabei. Der Gestank war unerträglich, der Anblick der Berge toter Fische beklemmend. Dazu muss man wissen, dass die Helfer*innen vor Ort von früh morgens bis spät abends beschäftigt waren. Von „freiwilligen“ Helfer*innen will ich dabei kaum sprechen, denn diese Arbeit macht niemand freiwillig; aber sie musste gemacht werden, und die Zeit drängte. Ich habe den größten Respekt vor diesen Menschen, die den Fluss vor weiterem Schaden bewahrt haben und das immer noch tun.

Einer der schönsten Momente war dann auch das Abendessen in Mescherin, wo u.a. Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren der deutschen und polnischen Seite dabei waren. Wir unterhielten uns mit Händen und Füßen und mithilfe von Gästen, die beide Sprachen sprechen, während sich im Hintergrund ein Regenbogen aufspannte. Wenn wir uns über eines einig waren, dann darüber, dass wir tatsächlich alle in einem Boot sitzen und den Fluss gemeinsam schützen müssen.

Was sagen die Menschen, die am und mit dem Fluss leben, zur Katastrophe?

Für die Menschen vor Ort ist nicht nur die Lebensgrundlage weggebrochen, es fühlt sich für sie häufig auch so an, als sei ein Stück von ihnen selbst weggebrochen. Da ist zum Beispiel Helmut Zahn, der letzte offizielle Fischer im Nationalpark Unteres Odertal: Er weiß nicht, wann er wieder fischen kann – und ob dann jemand noch Fisch aus der Oder essen will. Gleichzeitig kennt er natürlich „seine“ Fische ganz genau, weiß Bescheid über die Gewohnheiten und Vorlieben der verschiedenen Arten und muss nun dem Sterben hilflos zusehen. Oder Frauke de Vere Bennett, die normalerweise Kanufahrten im Zwischenoderland veranstaltet: Sie verdient damit ja nicht nur Geld; ein Hauptantrieb für sie ist, Menschen im Umgang mit der Oder zu sensibilisieren und ihnen die Schönheit des Ökosystems nahezubringen. All das ist vorerst unmöglich geworden.

Viele haben vielleicht geahnt, dass so eine Katastrophe irgendwann passieren könnte, wenn wir immer mehr Abfall und Chemie in den Fluss kippen – aber haben es verdrängt. Daher war die Katastrophe erstmal ein Schock für alle. Und trotzdem, nur wenige Wochen später, bröckelt der konsequente Einsatz für einen gesunden Fluss schon wieder überall. Die Brandenburger SPD will sich nicht für einen Stopp des Oderausbaus einsetzen. Dabei müssen wir dem Fluss Ruhe geben, um sich irgendwie zu erholen, und ihn nicht noch weiter stressen. Nach einem solch massiven Fischsterben kann man nicht einfach weitermachen wie bisher und wieder hoffen, dass es schon irgendwie gut gehen wird.

Du begleitest schon länger den geplanten Containerhafen in Swinemünde und setzt dich für eine grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ein. Was ist hier der Stand?

Nach viel Druck von verschiedenen Seiten, unter anderem von mir, hat die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern schlussendlich die Beteiligung an einer grenzüberschreitenden UVP angemeldet. Schließlich ist klar, dass das Projekt Auswirkungen beiderseits der Grenze haben wird. Inzwischen wurde der Hafenbau zum dritten Mal ausgeschrieben. Zum ersten Mal überhaupt haben sich nun zwei Investoren beworben, die in diesem Bereich Erfahrung mitbringen, also als ernsthafte Interessenten gesehen werden können. Das ruft natürlich Befürchtungen hervor, dass das Projekt nun konkret werden könnte.

Umso mehr freut es mich, dass die Akteure in der Region mehr und mehr an einem Strang ziehen. Bei der im Rahmen meiner Tour geplanten Informationsveranstaltung in Ahlbeck beispielsweise saß ich mit Interessenvertreter*innen aus Tourismus und Naturschutz zusammen auf der Bühne, sowie mit der lokalen Bürgermeisterin und Abgeordneten aus Landtag und Bundestag. Die Menschen wollen, dass wir konstruktiv miteinander reden – Deutsche und Polen gemeinsam – und dass alle Interessen berücksichtigt werden: die der Wirtschaft, des Tourismus und der Natur. Kaum jemand ist gegen den Hafenausbau per se, aber er muss so vonstattengehen, dass alle gut damit leben können und geltende Gesetze eingehalten werden.  

Ein großes Problem dabei ist, dass die polnische Regierung will, dass der zukünftige Investor die UVP durchführt. Aber wie soll das ergebnisoffen geschehen, wenn finanzielle Interessen im Spiel sind? Wenn schon alles projektiert ist und Bauarbeiter*innen eingestellt sind? In der Vergangenheit hat es zudem bereits erhebliche Zweifel an der fachlichen Korrektheit von in Polen zur Oder durchgeführten UVPs gegeben. Leider waren das oft Gefälligkeitsgutachten, die von wenig Expertise im Arten- und Umweltschutz zeugten.

Darüber hinaus ist der Bedarf an einem solchen Hafen noch gar nicht abschließend geklärt. Wie viele Container müssen überhaupt in Swinemünde umgeschlagen werden? Wie sollen die Güter dann weitertransportiert werden? Es gibt nur eine kleine Autobahn und kaum Zugverkehr. All diese Fragen sind noch offen und selbst polnische Logistikexpert*innen halten das Projekt für absolut überdimensioniert.   

Mit der Tour wolltest du auch deinen Beitrag zu einer besseren deutsch-polnischen Verständigung leisten. Glaubst du, das ist dir gelungen?

Auf Regierungsebene scheint eine Verständigung derzeit kaum möglich, da die Regierungspartei PiS Deutschland als den Kern allen Übels ausgemacht hat – und das wird im nächsten Wahlkampf in Polen kaum besser werden.

Aber auf lokaler Ebene sieht die Lage anders aus. Die Veranstaltung in Mescherin habe ich ja bereits erwähnt. Ich bin also nicht nur mit deutschen und polnischen Akteuren auf beiden Seiten der Grenze ins Gespräch gekommen, sondern wir haben auch dafür gesorgt, dass sie sich direkt miteinander austauschen. Sicherlich, das geschieht noch viel zu wenig, was unter anderem an Sprachbarrieren und kulturellen Unterschieden liegt. Aber vor Ort, im täglichen Abarbeiten von Problemen, klappt die Kooperation dann immer viel besser als auf höchster politischer Ebene. Das macht auch viel Hoffnung.

Welche Konsequenzen sollten aus dem Fischsterben gezogen werden? Wer ist jetzt am Zug?

Ich fände es wichtig, dass sich Vertreter*innen aus Wirtschaft, Tourismus und Naturschutz aus Polen und Deutschland an einen Tisch setzen, und auf Basis der Ergebnisse der deutsch-polnischen Expert*innenkommission zum Fischsterben gemeinsam überlegen, was das weitere Vorgehen sein soll. Zum Beispiel müsste das deutsch-polnische Regierungsabkommen von 2015, das Grundlage für den Oderausbau ist, dringend neu verhandelt werden: Dessen Grundannahmen sind angesichts von zunehmenden Dürrezeiten und Niedrigwasser und dem nun immens strapazierten Ökosystem schlicht nicht mehr aktuell.

Klar ist, dass wir eine gemeinsame Lösung brauchen, um den Status des Flusses sowie der Flora und Fauna besser im Blick zu haben. Denkbar wäre z.B. ein gemeinsames deutsch-polnisches Monitoring zu Schadstoffen im Fluss, ähnlich wie es für den Rhein nach dem Sandoz-Chemieunfall von 1986 etabliert wurde. Man sollte sich jetzt darauf einigen, was man misst, wie man die Daten austauscht und Krisenreaktionsmechanismen ausarbeiten, damit wir, falls wieder etwas passiert, nicht noch einmal erst mit dem Finger aufeinander zeigen und Zeit mit langwierigen Diskussionen verschwenden.

Ein Problem, das darüber hinaus derzeit immer drängender wird, sind die Einleitungsquoten für Abwässer durch die Industrie. Diese Quoten sind derzeit sehr starr, orientieren sich also an Mittelwerten, anstatt sich danach zu richten, wie es dem Fluss gerade geht. Wenn aufgrund Dürre der Fluss zum Beispiel wenig Wasser führt, sollte es selbstverständlich sein, dass nicht genauso viele Abwässer eingespeist werden können wie zu Zeiten, wenn der Fluss viel Wasser führt. Die Quoten sollten also entweder relativ zu diesen Richtwerten festgelegt werden, oder die Obergrenzen sollten sich am schlechtesten Szenario orientieren.

Mit am wichtigsten ist, den Oderausbau sofort zu stoppen. Dieser Ausbau belastet das sowieso schon sehr angeschlagene System noch zusätzlich. Wir müssen hier auch den Fluss als Ganzes betrachten: Die Arbeiten an der Klützer Querfahrt, die Sanierung oder Errichtung von Buhnen auf polnischer Seite oder der geplante Hafenbau: All das bürdet dem Ökosystem noch mehr auf, als es sowieso bisher schon verkraften muss. Dabei ist längst klar, dass ein Transport von Gütern auf der Schiene ein viel besserer Weg wäre, als die Oder mit viel Geld zu vertiefen. Sie wäre sowieso viele Monate im Jahr nicht schiffbar – auch die PiS-Partei wird es in Zukunft nicht regnen lassen können, um für höhere Wasserstände zu sorgen. Und vor allem sollte es für solch absurde Projekte nicht auch noch EU-Subventionen geben.

Wie willst du dafür sorgen, dass das Thema auf der Tagesordnung bleibt?

Ich weise immer wieder auf das Problem hin, sei es in den Sozialen Medien oder in Gesprächen mit Journalist*innen. Die erste Aufmerksamkeitswelle ist inzwischen wieder abgeebbt, aber die Fische und andere Lebewesen im Fluss sterben weiter. Daher dürfen wir nicht lockerlassen. Ich habe deswegen eine Plenardebatte im Europäischen Parlament zum Thema beantragt – diese findet am kommenden Donnerstag statt.

Wo siehst du die Oder in 5 Jahren?

Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Katastrophe auch dem letzten klarmacht, dass wir den Fluss nicht weiter so behandeln können, wie wir das bisher getan haben. Die Oder ist viel mehr als nur ein Abwasserkanal oder ein Schifffahrtsweg. Die Oder ist die Lebensader der Region, die Grundlage für Fischerei und Tourismus – und sie ist sehr verletzlich.  

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