„Dieses Jahr lauf ich den Marathon!“ – ein stolzer Neujahrsvorsatz, aber nicht meiner. Trotzdem verlangte der Januar mir einiges an Ausdauer ab und startete gleich mit einem Interview-Marathon: Während sich die Ereignisse im Iran und Irak überschlugen, sollte ich die Lage für verschiedene nationale Zeitungen einschätzen. Das Thema begleitete ich auch in meiner parlamentarischen Arbeit. Neben Europas Zukunft und dem Green Deal war der US-Iran-Konflikt eine der wichtigsten Debatten in der Sitzungswoche in Straßburg, sowohl für meine Fraktion als auch für die Menschen vor Ort. Zurück in Brüssel hieß es dann: Abschied nehmen. Mit innigen Umarmungen und dicken Tränen. Getragen von der Hoffnung, dass die Brit*innen eines Tages wieder zurückkehren. Nun geht es an die Verhandlungen. Es wird kompliziert bleiben.
Interview-Marathon: USA-Iran-Konflikt und die Lage im Irak
Die Tötung des iranischen Generals Soleimani durch die Amerikaner war der Beginn eines Lauffeuers, das drohte, den Nahen Osten gänzlich zu destabilisieren. Und es stellte die neue EU Kommission, die sich selbst als “geopolitisch” bezeichnet, auf eine erste Probe. Besonders gut hat sie diese nicht bestanden, kommentierte ich im Spiegel. Insbesondere die einseitigen Mahnungen von der Leyens an den Iran führen nicht dazu, dass die EU als eigenständig wahrgenommen wird. Eine „Geopolitische Kommission“ darf kein Anhängsel der USA sein, erklärte ich in Interviews mit dem Handelsblatt und der Süddeutschen Zeitung. Darin forderte ich, dass sich die EU als unabhängige Vermittlerin einschaltet und dabei auch auf die Bedürfnisse der Iraker*innen eingeht. Wie ich bei meiner Reise im Oktober selbst erfahren habe, wollen viele Menschen im Irak eine Verringerung des Einfluss der Konfliktparteien Iran und USA in ihrem Land. Die Rufe nach der EU, sich für die Rechte dieser Menschen einzusetzen, werden lauter, ebenso wie die Proteste auf Bagdads Straßen. Aber es sind nicht nur die Iraker*innen, die demonstrieren. Auch die Iraner*innen lassen sich nicht mehr alles gefallen, erklärte ich dem RedaktionsNetzwerk Deutschland und in einem ausführlichen Interview mit der Heinrich Böll Stiftung.
Neben den Ausschreitungen im Nahen Osten, gab es Anfang des Monats einen Funken Hoffnung für Libyen. Bei der von der Bundesregierung einberufenen Berliner Konferenz wurde eine Waffenruhe der Konfliktparteien im nordafrikanischen Küstenland vereinbart. Auch hier soll die EU vermitteln, auch hier sind die Leistungen bisher nicht überzeugend. Das vereinbarte Waffenembargo wurde offenbar bereits gebrochen, während man in den Hauptstädten noch über einen Mechanismus zu seiner Kontrolle diskutiert. Und die Interessen der Menschen in Libyen, sowie die katastrophale Situation in den Flüchtlingslagern, wurden hier weitestgehend ausgespart. Sie saßen nicht einmal am Verhandlungstisch, wie ich im Interview mit der Deutschen Welle ausführte.
Straßburg
Die Plenarwoche war, wie zu erwarten, sehr vollgepackt. Ich hatte gleich drei Reden an einem Tag zu halten. Aber auch andere grüne Abgeordnete hatten viel zu tun und wir konnten einiges durchsetzen. Zum Beispiel unsere Forderungen für den Green Deal: Höhere Standards für die Biodiversität, besonders bei der Agrarpolitik, und an die Pariser Klimaziele und den Kohleausstieg gebundene Finanzmittel. Außerdem konnten wir die Weichen für eine Reform stellen, die dem Parlament mehr Handlungsfähigkeit und den EU-Bürger*innen mehr Beteiligung ermöglicht. Auf einer Konferenz zur Zukunft Europas soll unter anderem die weitere Demokratisierung der EU diskutiert werden.
Ich selbst setzte mich natürlich auch im Parlament für eine Konfliktlösung im Nahen Osten ein. Bei meiner Rede zum USA-Iran-Konflikt forderte ich die EU dazu auf, den Demonstrant*innen im Irak und Iran Gehör zu schenken und sich für deren Rechte starkzumachen. Wie der EU-Jahresbericht zu Menschenrechten zeigt, hat die EU aber noch ganz andere Möglichkeiten, auch präventiv etwas für Menschenrechte zu tun. Der Bericht stellt dar, wie sich unsere Politik auf Menschen überall auf der Welt auswirkt. Und häufig zum Schlechten. In meiner Rede forderte ich, die Wahrung der Menschenrechte konsequent zum obersten Gebot unserer Außenpolitik zu machen.
https://www.facebook.com/HNeumannMEP/videos/518877225410176/]
Der Jahresbericht zur Sicherheitspolitik zeigt jedoch, dass es vielen bei der EU-Außenpolitik vor allem um militärische Aufrüstung geht. Arnaud Danjean (EVP-Fraktion) brachte einen Bericht ein, der statt auf Partnerschaftlichkeit und Multilateralismus abzuzielen, strategische Autonomie der EU fordert. Diese solle vor allem militärisch erwirkt werden. Denn etwa 90 Prozent des Berichts handeln von militärischen Fragen, Strukturen und der Industrie. Dabei sollten wir mindestens gleichermaßen unsere zivilen Missionen fördern, um auch in Zukunft weiterhin waffen- und gewaltfrei für die Sicherheit in und um Europa zu sorgen. Als Schattenberichterstatterin für die Greens/EFA-Fraktion kritisierte ich den Bericht. Weil er europäische Verträge ignoriert, die eine angemessene Mischung von militärischen und zivilen Maßnahmen festhalten, und weil er unkritisch unsere eigenen Militäroperationen beschönigt.
Abschied
Die letzte Januarwoche in Brüssel war traurig. Wir haben für das Withdrawal Agreement der EU mit Großbritannien gestimmt und damit den Brexit endgültig besiegelt. Warum wir das tun mussten? Um einen harten Brexit zu verhindern und Europa die Chance zu geben, endlich aus diesem Alptraum aufzuwachen und nach vorne zu schauen. Und mit Europa meine ich auch Großbritannien! Denn auch, wenn die Briten die EU verlassen haben, bleibt ein starker Zusammenhalt. Und mehr noch: Es bleibt die gemeinsame Vision einer Zukunft, in der Parlamentarier*innen aller europäischen Länder Seite an Seite stehen werden. Das war in dieser Woche deutlich zu spüren. Ob beim Abschied unserer Fraktion (siehe Titelbild) oder beim wohl größten Chor, der jemals im Parlament gesungen hat (Gänsehautmoment!):
https://www.facebook.com/HNeumannMEP/videos/472302640346814/]
Ausblick
Was hat uns der Brexit gelehrt? Es gibt ein hohes Maß an Unzufriedenheit über die EU. Ich hoffe, wir können daraus die Energie ziehen, grundlegend Dinge zu verändern. Mit der Konferenz zur Zukunft Europas legen wir dafür den Grundstein und ich möchte das Format auch nach Berlin tragen.
Darüber hinaus will ich in diesem Jahr die Rolle von Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU stärken. Denn Frauen gehören an die Verhandlungstische und ihre Anliegen müssen in unseren Projekten viel stärker berücksichtigt werden. Als eine der zwei Rapporteur*innen für den Bericht „Gleichstellung der Geschlechter in der Außen- und Sicherheitspolitik der EU“ kann ich hier hoffentlich einige Verbesserungen durchsetzen. Ende Januar habe ich mich mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Expert*innen zusammengesetzt, um Ideen für eine feministische Außenpolitik der EU anzudiskutieren. Denn der Bericht soll so aussagekräftig und umfassend wie möglich werden. Es ist nämlich nicht nur das Jahr des Brexit, sondern auch das des 20. Jubiläums der Resolution 1325, mit der die UN all ihre Mitglieder dazu aufgefordert hat, die Rechte von Frauen zu verteidigen und sie in Friedensverhandlungen gleichberechtigt mit einzubeziehen. Ein starker Bericht für eine feministische EU-Außenpolitik ist diesem Jubiläum nur angemessen und ich freue mich, daran arbeiten zu dürfen. Und Euch halte ich diesbezüglich natürlich auf allen Kanälen auf dem Laufenden.