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Hannahs Monthly: Arabischer Frühling 2.0

In Ägypten kommt es zu Massenverhaftungen von Protestierenden. Europäische Spionagesoftware ist wohl im Spiel. Trotzdem gibt es kein Exportstopp. Im Irak wird scharf auf Demonstrant*innen geschossen. Mit Blick auf weitere Proteste im Libanon und in Algerien ist deutlich: Wir stehen vor einem Arabischen Frühling 2.0. Und die nächsten Monate werden entscheidend sein, ob die Proteste diesmal zu mehr Freiheit und Demokratie führen werden. Bisher sind die Mitgliedsstaaten der EU und die internationale Gemeinschaft im Hinblick auf die Demonstrationen erschreckend leise. Im Parlament aber haben wir für deutliche Resolutionen gestritten – teilweise mit Erfolg. Dies gilt auch für eine Resolution, die den Einmarsch der Türkei in Syrien klar verurteilt und deutliche Sanktionen fordert.

Ägypten: Resolution für Menschenrechtsaktivist*innen durchgesetzt

Anlass für meine Ägyptenreise war die Münchner Sicherheitskonferenz in Kairo, wo ich mit Vetreter*innen aus verschiedenen Nationen Friedensstrategien für die Region diskutierte. Ich bin extra früher angereist, um ausreichend Zeit für Gespräche mit Menschenrechtsaktivist*innen vor Ort zu haben. Die tragischen Berichte bestätigten sich: Seit dem Beginn der Proteste im September sind Hunderte Menschen verschwunden, wurden 4300 Aktivist*innen inhaftiert. Soziale Medien werden überwacht. Jugendliche werden willkürlich festgenommen, weil sie What’s App oder Facebook auf ihrem Handy installiert haben. Die Botschaft ist klar: Machthaber Al-Sisi duldet keine Kritik an seinem Regime. Der Sprecher des ägyptischen Parlaments vergleicht ihn mit Adolf Hitler – und das ist als Lob gemeint! Spätestens jetzt sollten überall in Europa die Alarmglocken läuten.

Im Europäischen Parlament konnte ich als Rapporteurin die schärfste EU-Resolution zur Situation in Ägyptendurchsetzen, die wir je hatten. Wir fordern ein Ende der Repressalien gegenüber Menschenrechtsaktivist*innen, einen Exportstopp für Überwachungstechnik und eine Überprüfung der EU-Budgethilfe für Ägypten. Auch Reiseverbote müssen in Betracht gezogen werden. (Hier geht’s zu meiner Rede im Parlament.)

Es liegt nun an den Mitgliedsstaaten und der Kommission, dies umzusetzen. Doch die Bundesregierung bleibt profillos. Außenminister Maaß reiste zwar nach Kairo und kritisierte die Missachtung der Menschenrechte. Konsequenzen für das Regime bleiben jedoch aus. Es bleibt einer der größten Auftragsgeber für deutsche Waffenlieferanten.

Irak: Mit scharfer Munition gegen die eigene Bevölkerung

Von Kairo aus ging es über Katar in den Irak. Auch dort gehen Jugendliche auf die Straße. Weil sie wissen wollen, wo all das Geld aus dem florierenden Ölgeschäft bleibt, warum Arbeitsplätze über Kontakte vergeben werden und Qualifikation kaum eine Rolle spielt. Sie gehen auf die Straße, weil sie ignoriert werden und sich Gehör verschaffen wollen. Mehr als 250 von ihnen kamen dabei im Oktober ums Leben. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die friedlich gegen Korruption und für Demokratie demonstrieren, beschossen oder inhaftiert werden. – Und das von Sicherheitskräften, die von einer EU-Mission beraten werden. In meiner Rede im Parlament forderte ich dafür eine Erklärung. Doch die blieb bisher aus. Ich bleibe dran, spätestens im nächsten Plenum in Straßburg werde ich wieder fragen.

Während meiner Reise konnte ich mit vielen jungen Iraker*innen über ihre Erfahrungen von den Protesten und ihre Erwartungen für die Zukunft sprechen. Trotz all der Gewalt zeigten sie sich optimistisch und unerschütterlich. Sie stellten mir Fotos und Augenzeugenberichte zur Verfügung. Da die sozialen Medien im Irak ebenfalls überwacht sind, wollte ich das Material in Deutschland verbreiten, um Menschenrechtsaktivist*innen eine Stimme zu geben. Kurz nach meiner Heimkehr baten mich die Augenzeugen jedoch aus Angst vor politischer Verfolgung, ihre Namen und Fotos aus den Berichten zu streichen. So viel zur Lage der Menschenrechte im Irak – als EU müssen wir dringend unseren Einfluss geltend machen und uns für diese Menschen einsetzen.

Syrien: Waffenembargo statt Scheindebatte notwendig

Erdogans Feldzug in Syrien ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht. So das Urteil des Europäischen Parlaments. Nach langen Debatten im Außen- und im Sicherheitsausschuss fordert das Parlament Handelssanktionen gegen die Türkei. Meines Erachtens reicht das nicht aus. In einem Interview mit radioeins, kurz nach Erdogans Einmarsch, plädierte ich für ein EU-Waffenembargo gegen die Türkei. Und an der syrisch-irakischen Grenze konnte ich Gespräche mit Menschen führen, die erneut aus Nordsyrien fliehen mussten. Ihre Geschichten sind erschütternd.

Für die EU sind die Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Türkei begrenzt. Die Beitrittsverhandlungen sind eingefroren und die in Aussicht gestellten Visaerleichterungen gab es nicht. Und auch jetzt handeln wir ohne Waffenembargo und damit nicht konsequent genug. Die Folgen: Erneut werden Menschen, die vor Krieg fliehen müssen, Verhandlungsmasse in einem Stellvertreterkonflikt. Das ist zutiefst zynisch. Erdogan missbraucht das Schicksal der syrischen Flüchtlinge als Druckmittel gegenüber der EU.

Nationale Interessen der Flüchtlings- oder Rüstungsexportpolitik dürfen nicht dazu führen, dass sich die EU-Mitgliedstaaten gegeneinander ausspielen lassen. Nur gemeinsam hat die EU eine Chance, befriedend auf den Konflikt einzuwirken. Dass Länder wie Deutschland und Frankreich vorerst keine neuen Lizenzen erteilen (wohl aber alte Verträge noch erfüllen und weiter Waffen und Ersatzteile liefern), reicht nicht aus. Und eine Scheindebatte über eine Sicherheitszone lenkt leider von den konkreten Dingen ab, die die EU sehr wohl tun könnte.

Nachtzug nach Brüssel

Neben den Reisen in ein paar Krisenherde dieser Welt habe ich auch versucht einen kleinen Beitrag zu mehr Klimaschutz hier vor Ort zu leisten. In einem von mit initiierten offenen Brief an die Bundeskanzlerin forderte ich gemeinsam den Co-Parlamentarierinnen Gaby Bischoff, Martina Michels und Hildegard Bentele die Wiederaufnahme der Nachtzugverbindung von Berlin nach Brüssel. Denn nächstes Jahr übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft, was zu viel mehr Pendler*innen führen wird. Spätestens dann ist es nötig, dass Politiker*innen für diese Kurzstrecke nicht ständig in den Flieger steigen! Das wäre ein Signal hin zu der notwendigen europäischen Verkehrswende, sagten wir dem Tagesspiegel. Ob der Zug kommt? Ich halte Euch auf dem Laufenden.

Ausblick

In den nächsten Wochen werde ich weiter dafür streiten, dass die EU in den Krisenherden dieser die Menschen stärkt und schützt, die sich für Frieden und Menschenrechte stark machen. Wie konkret? Ich bin Schattenberichterstatterin für den Jahresbericht zu Menschenrechten und den zur Verteidigungspolitik. Dort werde ich entsprechende Änderungen einbringen. Ich werde darauf drängen, dass sich die EU an die Seite der friedlich Protestierenden stellt – im Irak, im Libanon, in Algerien, in Ägypten – und sie in ihrem Einsatz für mehr Freiheit und gegen Korruption unterstützt. Wie das gelingen kann, erkläre ich auch beim Europa-Brunch am 23. November in Berlin. Kommt vorbei oder begleitet mich am 24. November in die Nikolaikirche, um noch ein wenig das Friedensprojekt Europa zu feiern. Mehr Infos dazu bekommt ihr noch über Facebook und Instagram von mir! Bleibt dran!

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