Frieden und Sicherheit

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EU geht erste Schritte zur gemeinsamen Beschaffung militärischer Güter – ein Zwischenupdate

Der Krieg in der Ukraine hat schonungslos offengelegt, wie schlecht es um die europäische Verteidigungsfähigkeit bestellt ist. Grundsätzlich haben sich die Mitgliedsstaaten verabredet, bei der Schließung von sogenannten Fähigkeitslücken (die auftreten, wenn das vorhandene technische Gerät nicht mehr den Anforderungen entspricht) zusammenzuarbeiten. Die Umsetzung gestaltet sich aber schwieriger als erwartet, da Beschaffung bisher ein rein nationalstaatliches Thema war und kaum ein Mitgliedsstaat bereit ist, diese Aufgabe wirklich in die Hände der EU zu geben. Aber Mitgliedsstaaten und Kommission gehen erste Schritte – und das Europäische Parlament ist mit von der Partie.

Jüngst wurde von den EU-Verteidigungsminister*innen beschlossen, der Ukraine binnen zwölf Monaten eine große Menge Munition zu liefern, unter anderem eine Million Artilleriegeschosse – nur muss die Munition erst einmal beschafft werden. Kürzlich wurde hierzu auf einem EU-Gipfel diskutiert (siehe auch mein Beitrag in „Streitkräfte und Strategien“, ab 21:56 und in „Politico“). Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schlägt vor, dass die EU zwei Milliarden Euro aus der Europäischen Friedensfazilität (einem Militärfonds außerhalb des EU-Haushalts) bereitstellt. Damit sollen dann Mitgliedsstaaten u.a. Munition neu kaufen, die sie aus ihren Beständen an die Ukraine abgegeben haben. Zwar soll jedes Land weiterhin für sich Munition bestellen, jedoch sollen die jeweiligen nationalen Rahmenverträge für interessierte Partnerstaaten geöffnet werden, um sich zu beteiligen. Auf diese Weise können Mitgliedstaaten gemeinsam von den Vorteilen profitieren, die sich aus der koordinierten Beschaffung von Rüstungsgütern ergeben.

„EDIRPA“ – was ist das eigentlich?

Eine weitere Initiative wurde durch die Kommission schon im vergangenen Jahr angestoßen – sie liegt jetzt beim Parlament und bis Sommer sollen die Verhandlungen im Trilog abgeschlossen sein: EDIRPA („European defence industry reinforcement through common procurement act“, also „Rechtsakt zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung“). Als Konsequenz aus Russlands Angriffskrieg fahren derzeit viele Mitgliedstaaten ihre Verteidigungsbudgets hoch. EDIRPA soll vor diesem Hintergrund durch die Förderung koordinierter Waffenkäufe durch Mitgliedstaaten Verteidigungskapazitäten verbessern. Die Mitgliedsstaaten sollen sich also nicht wie bisher auf dem Markt gegenseitig Konkurrenz machen, sondern die Beschaffung koordinieren und im besten Fall durch höhere Stückzahlen bessere Konditionen aushandeln können. Dabei sollen die zusätzlichen Kosten übernommen werden, die bei der Koordination einer gemeinsamen Beschaffung von Rüstungsgütern anfallen. In einer Sitzung des Verteidigungsausschusses und des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie haben wir hierzu diskutiert. Folgende Punkte sind uns als Grüne/EFA wichtig:

  • Grundsätzlich sprechen wir uns nachdrücklich für eine gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern aus: Alle Mitgliedsstaaten zusammen haben schließlich eine größere Marktmacht als ein einzelner Mitgliedsstaat. So können unnötige Kosten reduziert werden, was dazu beiträgt, Steuergelder so effizient wie möglich einsetzen. Außerdem kann durch den gemeinsamen Einkauf von Rüstungsgütern die Interoperabilität innerhalb der EU verbessert werden.  
  • Die 500 Millionen Euro, die bisher für EDIRPA veranschlagt sind, werden nicht den entscheidenden Unterschied machen bei der Frage, ob gemeinsam beschafft wird oder nicht. Viel wichtiger ist der politische Wille, die Dinge auch umzusetzen! Positivbeispiele sind u.a. der oben erwähnte Beschluss zu Munitionslieferungen an die Ukraine und der Einsatz der Europäischen Friedensfazilität, um die militärische Unterstützung der Ukraine durch Mitgliedsstaaten zu finanzieren. Wir sind also der Meinung, dass es den (symbolischen) Zuschuss aus dem ohnehin schon strapazierten EU-Haushalt an dieser Stelle nicht braucht.
  • EDIRPA darf den Einkauf von Verteidigungsgütern nicht direkt finanzieren, da dies gegen die Europäischen Verträge verstoßen würde. Das muss klar aus dem Rechtstext hervorgehen.
  • Eine intensivere europäische Zusammenarbeit im Verteidigungssektor muss mit einer Stärkung der Aufsicht und Kontrolle durch das Europäische Parlament einhergehen. Schließlich sind 500 Millionen Euro aus dem EU-Budget veranschlagt, und das Europäische Parlament muss dem EU-Haushalt zustimmen. In der Vergangenheit hat das Parlament in ähnlich gelagerten Fällen auf seine Kontrollrechte verzichtet – das sollte sich nicht wiederholen!

Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Mitgliedstaaten oft nur auf dem Papier bereit sind, im Bereich Verteidigung stärker auf der europäischen Ebene zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel hätten die Mitgliedstaaten bereits seit einigen Jahren der Europäischen Verteidigungsagentur Auskunft über ihre Verteidigungsfähigkeit in verschiedenen Bereichen geben müssen – das ist aber praktisch nicht passiert: Der Angriff auf die Ukraine hat dann den Fokus auf diese Nachlässigkeiten gelenkt.

Solange hier kein Umdenken stattfindet, werden es EU-Initiativen auch in Zukunft schwerhaben. Es liegt daher an den Mitgliedsstaaten, klare Ansagen zu machen – und ihre Ankündigungen dann auch umzusetzen. Wenn Russlands Krieg hier nicht ausreicht, um einen Anstoß zu geben, was dann?

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