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Zuhören und Brücken bauen – Drei Tage Grüner Ostkongress

Drei Tage lang haben wir uns beim ersten Grünen Ostkongress in der Lutherstadt Wittenberg Zeit genommen für wichtige – und manchmal auch schmerzhafte – Debatten. Es ging um die weiterhin ungerechte Vermögensverteilung, um das Gefühl mangelnder Anerkennung der Leistungen vieler Ostdeutscher vor und seit der Wiedervereinigung – und um die Rolle der Grünen in den ostdeutschen Bundesländern. Unterschiede gibt es nach wie vor. Umso wichtiger ist es, dass wir einander zuhören und aufeinander zugehen.

Frieden in Ost und West – eine geteilte Erzählung

Ein besonderer Moment für mich war das Gesprächsformat „Bist du etwa nicht für den Frieden? – von der DDR-Friedenserzählung zu einem gemeinsamen Friedensverständnis“, moderiert von Katja Meier. Gemeinsam mit der Künstlerin Anett Schuster (Projekt Schwärmerei) und dem Soziologen Dr. Alexander Leistner von der Universität Leipzig haben wir darüber diskutiert, ob es im Osten und Westen unterschiedliche Friedensverständnisse gibt – und warum das so ist.

Im Osten wurde der Friedensdiskurs durch den “antifaschistischen Schutzwall” staatlich instrumentalisiert, stand jedoch im starken Kontrast zu einer stark militarisierten Gesellschaft. Diese Erfahrungen prägten das Leben vieler Menschen in der DDR – ebenso wie die Erfahrung einer autoritären SED-Diktatur, die bis heute zu einem geringeren Vertrauen in staatliche Institutionen und Parteien beiträgt. Im Westen hingegen stand Frieden nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im Zeichen der europäischen Integration. Die Europäische Union entstand als Friedensprojekt: vereint in Vielfalt, getragen von dem Versprechen, dass Aussöhnung und Zusammenarbeit zwischen Staaten dauerhafte Stabilität schaffen können. Beide Prägungen – die staatlich instrumentalisierte Friedensrhetorik im Osten und die europäische Friedensidee im Westen – wirken bis heute nach und bestimmen, wie wir über Krieg, Frieden und internationale Konflikte sprechen.

Dialog statt Trennung – was wir brauchen

Gerade in Zeiten, in denen Europa von Kriegen und autoritären Bedrohungen umgeben ist, dürfen wir diese Unterschiede nicht als Spaltung begreifen. Vielmehr können sie Ausgangspunkt sein für Dialog, gegenseitiges Verständnis und eine gemeinsame starke Stimme für Demokratie und Frieden in Europa. Empathie ist dafür unverzichtbar: Nur wenn wir die unterschiedlichen historischen Erfahrungen ernst nehmen – auch die unterschiedlichen Erfahrungen Ostdeutscher und Westdeutscher je untereinander – schaffen wir Vertrauen.

Die Diskussionen in Wittenberg haben auch deutlich gemacht: Es reicht nicht, nur zuzuhören. Wir brauchen mehr Repräsentanz von ostdeutsch sozialisierten Personen in Führungspositionen – in der Partei, in den Parlamenten und in der Gesellschaft insgesamt. Noch immer sind Ostdeutsche in Spitzenfunktionen deutlich unterrepräsentiert. Nur wenn Entscheidungen auch durch die „Ostbrille“ betrachtet werden, entstehen Lösungsansätze, die Ungleichheiten wirklich abbauen und neue Perspektiven eröffnen.

Mein Fazit der Diskussionen in Wittenberg für uns Grüne: Wir müssen Brücken bauen: zwischen Ost und West, zwischen Stadt und Land, zwischen Politik und Alltag, zwischen europäischer Perspektive und regionaler Realität. Und gleichzeitig: Die bestehenden Ungleichheiten endlich anzugehen – sei es bei Vermögen, Einkommen oder Repräsentanz.

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