Im September und Oktober bin ich in die Golfregion gereist. Um meinen Besuch mit einem Satz zusammenzufassen: Es ging dabei hauptsächlich um das Thema Frauen!
Katar: Ich wurde von einer Akademikerin eingeladen, die für mich ein Treffen mit Kandidatinnen für die Wahlen zum Schura-Rat arrangierte – und ich traf das afghanische Mädchen-Robotik Team in seinem Exil in Doha.
Vereinigte Arabische Emirate: Auf der EXPO in Dubai sprach ich über die Auswirkungen des europäischen „Green Deal“. Am Folgetag traf ich mich mit Mitgliedern des Nationalrats – hier gilt eine Frauenquote von 50 Prozent.
Irak: Bevor ich mich der Delegation des Europäischen Parlaments für die EU-Wahlbeobachtungsmission im Irak anschloss, traf ich mich mit der prominentesten irakischen Menschenrechtsverteidigerin, Hanaa Edwar, sowie mit einer feministischen Filmemacherin und Kandidatinnen, die bei den Wahlen antraten.
Meine Reise in die Golfregion fiel mit dem Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien (einschließlich des Hauptquartiers des Golfkooperationsrates in Riad) zusammen.
Qatar: Shura Council elections and the Afghan All-Girls Robotics team
I arrived in Doha, Qatar, just a few days before the first Shura Council elections were held. The Shura Council provides advice to the ruler of Qatar, Emir Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani, conducts debates and drafts legislation. However, the ultimate decision-maker in the kingdom remains the Emir.
In June, I had been involved in an online workshop organized by the EU Delegation, aiming at supporting Qatari women running for the elections. This time, I was able to meet two of the women candidates: Maryam Abdullah Rashid Hamood al-Sulaiti and Kholoud Sultan Rashid Sultan Al-Kuwari. We had a very interesting exchange on the role of women in the region, including on legislation concerning inheritance and polygamy. The election programmes of the two women covered a wide range of topics, for example the protection of the environment, human rights and social issues. Health issues are high on the agenda for both women: Kholoud Sultan Rashid Sultan Al-Kuwari is a trained physician and Maryam Abdullah Rashid Hamood al-Sulaiti has multiple sclerosis. With her campaigning, she has raised public awareness about the situation of persons with disabilities, and serves as a role model.
https://twitter.com/drkalkuwari55/status/1443205198055358468?s=21
Among the 284 candidates on the electoral list, 27 women were running for the 30 seats of the Shura Council which are filled through elections. Unfortunately, none of the women candidates was elected. However, in addition to the 30 elected members of the Shura Council, the Emir appoints another 15 members. In mid-October, two women were appointed as members (none of them had been a candidate). Hopefully, these developments will spark a new discussion on the introduction of a quota for national elections – as it already exists in other Gulf countries such as Iraq and UAE.
Given that Qatar prohibits the formation of political parties, all candidates were running as independent candidates. The voter turnout of about 63,5% following broad national media coverage during the election campaign demonstrates solid interest among the electorate. On the other hand, human rights groups criticized that the election law reflected on the discriminatory citizenship law: Qatari citizenship distinguishes between “native” and “naturalized” citizens, and the latter group had not been allowed to run as candidates.
My visit to Qatar was facilitated by Dr Amal al-Malki, Dean of the College of Humanities and Social Sciences, Hamad Ben Khalifa University, who also arranged a meeting with students, including participants originating in various conflict regions. We discussed topics ranging from the role of women in politics, especially in the security and defense sector, to possible political answers to conflicts, including in Afghanistan, Sudan and Venezuela. Further, we raised the importance of constructive exchanges between “Western” and “Muslim” countries and societies.
I met members of the Afghan All-Girls Robotics Team which has inspired so many people – through their scientific work, their perseverance and strength. They had been able to leave Afghanistan on rescue flights organised by the Qatari government. Their dream is to return to Kabul one day and establish a robotics academy on the university campus! Meanwhile, they continue their studies in Qatar.
Außerdem besuchte ich ein Evakuierungslager, in dem afghanische Flüchtlinge in Häusern leben, die ursprünglich für die Fußballweltmeisterschaft in Doha gebaut wurden. Menschenrechtsgruppen berichten weiterhin, dass es bisher versäumt wurde, den Tod von Wanderarbeiter*innen, die an Bauarbeiten im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft beteiligt waren, zu untersuchen und zu entschädigen. Sie fordern zudem die wirksame Umsetzung von Gesetzesreformen zum besseren Schutz von Migrant*innen, die als Arbeiter*innen ins Land gekommen sind.
Viele Afghan*innen, darunter auch solche, die für europäische Institutionen arbeiteten, konnten über Katar Afghanistan verlassen. Bis heute erleichtert das Emirat solche wichtigen Evakuierungen und bleibt ein Angelpunkt für Verhandlungen mit den Taliban.
United Arab Emirates (UAE): My Speech at the EXPO on the EU Green Deal
Nur zwei Wochen vor meiner Ankunft in Dubai hatte das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der es die Menschenrechtssituation in den VAE kritisierte, mit einem Schwerpunkt auf inhaftierte Menschenrechtsverteidiger*innen wie Ahmed Mansour.
Da ich wusste, dass Besuche in den Gefängnissen nicht möglich sind, hatte ich darum gebeten, zumindest Verwandte und/oder Anwält*innen von inhaftierten Menschenrechtsverteidiger*innen besuchen zu dürfen. Es wurde jedoch bald klar, dass solche Treffen in den VAE für meine Gesprächspartner*innen mit unannehmbaren Risiken verbunden gewesen wären. Daher habe bzgl. der Resolution auf andere Weise nachgefasst.
Ich war eingeladen worden, auf einer EXPO-Veranstaltung des von der EU und dem Golf-Kooperationsrat (GKR) eingerichteten und von der EU finanzierten „Netzwerks für saubere Energie“ die Hauptrede zu halten. Der Titel der Veranstaltung lautete: „The EU Green Deal: Research and Innovation as a driver towards climate neutrality”. In meiner Rede wies ich darauf hin, dass alle GKR-Länder und alle EU-Länder zu den 196 Ländern gehörten, die 2015 das Pariser Abkommen unterzeichnet haben. Ich verwies auf die verschiedenen Strategien zur Erreichung der Pariser Ziele, von der „Vision 2030“ oder „Vision 2035“ in den GKR-Ländern bis zum sogenannten „Green Deal“ der EU, und deren Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen der EU und dem GKR. Die GKR-Länder mit ihrer großen Abhängigkeit von den Einnahmen aus den Exporten fossiler Brennstoffe und die EU-Mitgliedstaaten mit ihrem hohen Energiebedarf werden sich alle auf grüne Energie umstellen müssen. (Als weiterführende Lektüre kann ich einen kürzlich von Cinzia Bianco veröffentlichten Artikel empfehlen: „Power play: Europas Klimadiplomatie in der Golfregion“)
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Während meines Aufenthalts traf ich auch mit mehreren Mitgliedern des Bundesnationalrats der VAE zusammen, darunter zwei Frauen, und wir sprachen über Möglichkeiten für einen regelmäßigeren Austausch. Zu unseren gemeinsamen Anliegen gehören die Situation der in Nordsyrien inhaftierten Familienangehörigen mutmaßlicher Kämpfer*innen des Islamischen Staates (siehe meinen Besuch im November 2020), die dramatische Lage in Afghanistan sowie Möglichkeiten zur Stärkung der Sichtbarkeit und des Einflusses von Frauen bei Friedensgesprächen in der Region.
Iraq: National Council elections
Prior to the start of the official monitoring mission for Iraq’s National Council elections, I met my friend Hanaa Edwar, the “grand dame” of the human rights and women’s rights movement in Iraq
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Hanaa Edwar hatte für mich ein Treffen mit Kandidat*innen, hauptsächlich Frauen, arrangiert. Sie berichteten mir von den Risiken und Herausforderungen, mit denen sie sich seit ihrer Entscheidung, sich zur Wahl zu stellen, konfrontiert sehen. Wie der vorläufigen Erklärung der Mission zu entnehmen ist, waren die Kandidatinnen – vor allem online – Verleumdungskampagnen ausgesetzt, die darauf abzielten, ihre persönliche Integrität zu untergraben.
Einige der Kandidatinnen waren während der Proteste, die vor zwei Jahren auf dem Tahrir-Platz in Bagdad aufkamen und mehrere Monate anhielten, Aktivistinnen gewesen. Daher hatte ich sie bereits bei einem früheren Besuch getroffen. Zu den Hauptforderungen der Demonstrierenden gehörten ein Ende von Korruption und Sektierertum sowie demokratische Reformen, auch in Bezug auf die Wahlgesetzgebung. Viele dieser ehemaligen Demonstrierenden hatten es jedoch abgelehnt, sich an den Wahlen zu beteiligen und Teil eines politischen Systems zu werden, das sie grundsätzlich kritisieren. Viele riefen stattdessen zu einem Wahlboykott auf, um ein politisches System nicht zu legitimieren, dass sich ihrer Einschätzung nach viel zu wenig verändert hat. Dennoch wurden schließlich einige Protagonist*innen der Protestbewegung ins irakische Parlament gewählt. Nun bleibt abzuwarten, ob sie ihre Position nutzen können, um für ein integrativeres politisches System einzutreten.
Des Weiteren hatte ich die Gelegenheit, die irakische Schauspielerin und feministische Filmemacherin Zahraa Ghandour zu treffen, die gerade einen Film über Hanaa Edwar dreht. Wir verbrachten einen wunderbaren Abend und genossen das Nachtleben von Bagdad.
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Mit dem offiziellen Beginn der Wahlbeobachtungsmission des Europäischen Parlaments bezog ich ein Zimmer im Rasheed Hotel, eine Welt für sich in der ehemals von den USA kontrollierten Grünen Zone. Dies stand im starken Kontrast zu der vergleichsweise großen Bewegungsfreiheit, die ich bei meinen früheren Besuchen in Bagdad genossen hatte: Viele unserer Sitzungen fanden ebenfalls in den Räumlichkeiten des Hotels statt.
Die Delegation des Europäischen Parlaments war Teil einer größeren EU-Beobachtungsmission im Irak, die im Kern etwa drei Monate lang im Land zugegen war. Ich habe mich sehr gefreut, daran teilzunehmen, vor allem, weil zivilgesellschaftliche Organisationen bei früheren Besuchen häufig auf die Bedeutung internationaler Wahlbeobachtungsmissionen hingewiesen hatten. Diese Botschaft hatte ich bei zahlreichen späteren Treffen in Brüssel wiederholt und so zur Einrichtung unserer dringend benötigten Beobachtungsmission beigetragen.
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Unsere Delegation traf mit Parlamentsmitgliedern, neuen Kandidat*innen, Organisationen der Zivilgesellschaft, Wahlbeamten und religiösen Führern zusammen, um ein besseres Verständnis für den politischen Kontext dieser Wahl zu gewinnen. Auch am Wahltag selbst beobachteten wir den Wahlprozess innerhalb und außerhalb Bagdads.
Während der technische Ablauf der Wahlen reibungslos verlief, war die Wahlbeteiligung mit 43 Prozent leider niedrig, sogar niedriger als bei früheren Wahlen. Dies zeigt deutlich das mangelnde Vertrauen der irakischen Bürger*innen in ihre politischen Institutionen. Mehrere Kandidat*innen berichteten von Angriffen durch bewaffnete Gruppen. Einschüchterungs- und Verleumdungskampagnen in den sozialen Medien waren an der Tagesordnung. Diese Punkte wurden auch in einer Erklärung unserer Delegation angesprochen: „Gewalt oder die bloße Androhung von Gewalt darf in einer Demokratie kein Mittel für politische Erfolge sein. Bewaffnete nichtstaatliche Akteur*innen sollten im Einklang mit Buchstaben und Geist der Verfassung nicht Teil des demokratischen Lebens im Lande sein. Die irakische Gesellschaft muss sich von einer stark militarisierten Gesellschaft weg- und auf einen gut organisierten Staat hinbewegen, der von einer engagieren Zivilgesellschaft gepflegt wird.“
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Die Proteste von 2019/2020 hatten – insbesondere bei jungen Menschen – die Erwartung geweckt, dass es zu grundlegenden politischen Reformen kommt, auch bzgl. der Wahlen. Tatsächlich brachten die jüngsten Reformen ein neues Wahlsystem, die sogenannte „nicht übertragbare Einzelstimme“, was eher einzelne Kandidat*innen als politische Parteien begünstigt. In der vorläufigen Erklärung der Beobachter*innenmission heißt es jedoch: „Im Wahlkampf wurden hauptsächlich die Kandidat*innen und politischen Blöcke gefördert, die bei den vorangegangenen Wahlen dominiert hatten, während die meisten Parteien, die den Parteien der […] Protestbewegung angehören, die Wahlen boykottierten.“
Ein vollständiger Bericht der Mission wird für Mitte Dezember erwartet.
In einer kürzlich erschienenen Veröffentlichung über das irakische Wahlsystem stellte Victoria Stewart-Jolley fest, welche Art von Veränderungen bei den Wahlen ausblieben: „Das System der Regierungsbildung selbst bleibt von den Reformen unberührt. Damit eine echte Reform stattfinden kann, muss das System, das die Verteilung von Posten und Ministerien entlang konfessioneller Linien ermöglicht, sowohl geändert als auch reguliert werden. Ohne eine wirkliche Änderung wird die Regierungsbildung im Irak weiterhin von der öffentlichen Abstimmung abgekoppelt sein, was die Aussicht auf weitere Unruhen und Proteste erhöht.“
Ein sehr positives Ergebnis der irakischen Wahlen ist die Zahl der Frauen, die in den Nationalrat gewählt wurden und damit die Mindestquote von 25 Prozent nach irakischem Recht übertrafen. Insgesamt wurden 97 Frauen gewählt, was etwa 30 Prozent der 329 Sitze umfassenden Kammer entspricht. Mit diesem Ergebnis sind irakische Frauen besser vertreten als Frauen im US-Repräsentantenhaus (27,4 Prozent), in Marokko (23 Prozent) oder in Jordanien (12 Prozent).
Während Kandidatinnen bei den Wahlen breite öffentliche Unterstützung genossen, wurden sie in früheren Kabinetten weitgehend ausgegrenzt. Eine interessante Analyse der jüngsten Wahlen und der Herausforderungen für irakische Frauen in der Politik findet sich in diesem Artikel: Werden Quotierungen in der irakischen Politik die Rechte der Frauen fördern?
Ich bin jetzt zurück in Brüssel. Aber meine Arbeit zur Stärkung der Rolle der Frauen in der Politik – auch in der Golfregion – ist noch längst nicht zuende.