Vom 28. bis 31. Januar war ich als eine der ersten Politikerinnen in Syrien, nach dem viel gefeierten Sturz des brutalen Regimes von Baschar al-Assad. Während meiner Reise sprach ich mit vielen Syrerinnen und Syrern – mit denen, die nie gegangen sind, mit Rückkehrer*innen aus dem Exil und mit Menschen, die zwischen Syrien und ihren neuen Heimatländern pendeln. Mein Hauptaugenmerk lag jedoch auf denen, die den Krieg vor Ort durchgestanden haben. Mehr als 50 Personen nahmen sich die Zeit, ihre Erfahrungen mit mir zu teilen – mindestens die Hälfte von ihnen waren Frauen.
Eine klare Botschaft zog sich durch alle Gespräche: Die Menschen in Syrien wollen einen echten Wandel. Es geht nicht nur um einen neuen Regierungschef, sondern um eine grundlegende Erneuerung von Staat und Gesellschaft – um einen neuen Gesellschaftsvertrag. Viele sind müde von Krieg, Unterdrückung und ausländischer Einflussnahme. Sie forderten mich auf, dafür zu sorgen, dass die Europäische Union eine klare und entschlossene Haltung zugunsten demokratischer Veränderungen, wirtschaftlicher Erholung und Gerechtigkeit für die Opfer des Assad-Regimes einnimmt.
Eine Aktivistin brachte es auf den Punkt: „Seid der Wind in unserem Rücken – nicht die Hände am Steuer.“ Die Zivilgesellschaft erkämpft sich Räume gerade zurück, die lange Zeit verschlossen waren, und setzt sich entschlossen dafür ein, dass diese Fortschritte Bestand haben. Sie wissen genau, was sie brauchen: Gerechtigkeit, Sicherheit, wirtschaftlichen Aufschwung und echte politische Teilhabe. Sie bitten um internationale Unterstützung – aber nicht um Kontrolle oder eigenmächtige Einflußnahme von außen.
Die EU hat Syrien lange mit humanitärer Hilfe unterstützt. Doch jetzt, in einer neuen Phase nach Assad, ist es an der Zeit, den Fokus von kurzfristiger Nothilfe auf langfristigen Wiederaufbau und politische Unterstützung zu verlagern. Die Menschen in Syrien nehmen ihre Zukunft selbst in die Hand. Jetzt muss die EU an ihrer Seite stehen – entschlossen, aber nicht naiv. Die europäische Politik muss sicherstellen, dass sie die syrische Zivilgesellschaft und die lokale Selbstverwaltung stärkt, anstatt nur neue politische Eliten zu fördern und dass es Raum für Übergangsjustiz und Aussöhnung gibt.
Mein vollständiger Bericht über diesen entscheidenden Moment in Syrien, mit ausführlichen Eindrücken und wichtigen Erkenntnissen aus meinen Gesprächen, ist jetzt verfügbar. Ihr könnt ihn hier lesen.
Zudem haben mehrere Medien über meine Reise und die Auswirkungen auf die Zukunft Syriens berichtet. Die entsprechenden Beiträge findet ihr hier bei Deutsche Welle, Bruxelles 2, Deutschlandfunk und RND.
Das Fenster für Veränderungen in Syrien steht offen – vielleicht nur für kurze Zeit. Die Frage ist: Helfen wir dabei, es offen zu halten?